1. Die Religionen Nepals
Nepal, zwischen dem tibetischen Hochland und der Gangesebene gelegen, entwickelte unter dem Einfluss seiner beiden Nachbarn und deren Glaubensvorstellungen ein einzigartiges religiöses System:
In Nepal treffen die zwei Weltreligionen Hinduismus und Buddhismus aufeinander, sie koexistieren hier nicht nur, sondern beeinflussen sich auch gegenseitig: so haben zum Beispiel viele Buddhisten das hinduistische Kastensystem übernommen. Einen bedeutenden Ort, sowohl für Hinduisten, als auch für Buddhisten, stellt der Tempel Swayambhunath in Kathmandu dar. Er besteht aus einer buddhistischen Stupa in der Mitte und mehreren hinduistischen Tempeln, die sich auf dem gesamten Areal verteilen. Täglich pilgern zahlreiche Nepalesen dorthin, um Buddha, beziehungsweise Sambu, anzubeten. Sambu ist eine hinduistische Göttin, welche eine Form von Shiva darstellt. Beide Religionen koexistieren an dieser Stelle friedlich neben- und miteinander.

Das Land Nepal ist ethnisch und kulturell ein Mosaik von Minoritäten. Über 100 verschiedene ethnische Gruppen und Kasten leben in Nepal, mehr als 70 unterschiedliche Sprachen und Dialekte werden gesprochen. Unter diesem Aspekt muss auch die Religion in Nepal betrachtet werden, denn die Gruppenzugehörigkeit bestimmt sehr häufig die Glaubensrichtung, sowie das Praktizieren verschiedener religiöser Riten.
Der größte Teil der Nepalesen ist zu den Hinduisten zu zählen, denn 80,6% der nepalesischen Bevölkerung bekennen sich zu dieser Glaubensrichtung. Mit 10,7% machen die Buddhisten den zweitgrößten Teil der Bevölkerung aus. Die restlichen ca. 10% verteilen sich auf Moslems (4,2%), Christen (2%) und andere, animitische Glaubensrichtungen.
Regional gesehen ergeben sich jedoch oft ganz andere Muster. Während im Katmandubecken der größte Teil der Bevölkerung hinduistisch ist, begegneten wir auf unserer Exkursion durch das Gebiet Khumbu-Himal, hauptsächlich Buddhisten, die zum größten Teil dem Volksstamm der Sherpa angehörten. Auf den Pfaden durch das höchste Gebirge der Welt konnten wir sogenannte Mani-Steine bewundern, welche von einheimischen Mönchen künstlerisch gefertigt, also gemeißelt und bemalt, werden. Sie gelten als heilig und es besteht die Regel, dass man, egal wie groß der Umweg auch ist, links um sie herumgehen muss. Daneben beeindruckten uns die Unmengen von buddhistischen Gebetsfahnen auf Pässen, oder sogar auf dem Gipfel des Gokyo Peak - mit seinen 5365 Metern der höchste Punkt unserer Exkursion - sowie die zahlreichen Stupas, welche wir sowohl in den Sherpa-Siedlungen, als auch in der Hauptstadt Kathmandu entdeckten. In Pashupatinath, im Osten der Hauptstadt, liegt der bedeutendste Hindutempel Nepals. Er ist einer der bedeutendsten Shiva-Tempel des gesamten indischen Subkontinents.


2. Die Ethnien Nepals
Die Bevölkerungsstruktur in Nepal ist unglaublich heterogen. Sehr viele ethnische Gruppen existieren nebeneinander, differenzieren sich aber durch bestimmte Kriterien, wie Herkunft, Religionszugehörigkeit oder Sprachgebrauch. Die jeweiligen Ethnien unterteilen sich weiter in zahlreiche Untergruppen oder Clans, und unterscheiden sich innerhalb ihrer Grenzen oft auch durch unterschiedliche Kastenzugehörigkeiten oder die Besiedelung verschiedener Gebiete. Dies macht es besonders schwer einen vollständigen Überblick über alle Ethnien zu leisten. Ein kurzer Abriss über die wichtigsten Gruppen soll hier genügen.


2.1 Einteilung und Überblick über die Hauptvolksgruppen
In Nepal gibt es zwei Hauptgruppen von Ethnien, die sich anhand ihrer ursprünglichen Herkunft voneinander unterscheiden lassen: Die indo-europäische (europide) und die tibeto-birmanische (mongolide) Bevölkerungsgruppe. Die Europiden siedelten sich vornehmlich in Zentralnepal sowie im Terrai an, die Mongoliden in den Hochgebirgsregionen des Himalaya. Abgesehen von diesen beiden Hauptgruppen gibt es noch altnepalische Bevölkerungsgruppen, deren Siedlungsraum sich auf das innere Terrai und die Gebiete südlich der Mahabharat Kette konzentriert. Die unterschiedlichen Besiedelungsphasen der Hauptgruppen ermöglichen nun die weitere Einteilung in ethnische Gruppen:

Zur indo-europäischen Gruppe gehören beispielsweise die Khas, die als erste Einwanderer dieser Gruppe gelten, etwa im 5. Jahrhundert nach Nepal kamen und deren Sprache als Vorläufer des heutigen Nepali gilt. Desweiteren gehören zur europiden Bevölkerungsgruppe die Bahun, Thakuri, Chetri, Kami und die Sunar.
Die Differenzierung der tibeto-birmanischen Gruppe erfolgt anhand von drei Einwanderungsperioden:
1500 - 1000 v. Chr. stellen die Kiranti die ersten Einwanderer dieser Gruppe dar. Von ihnen stammen beispielsweise die heutigen Rai und die Limbu. Im 7. und im 11. und 12. Jahrhundert folgen weitere Einwanderungswellen: die Tamang, Gurung, Magar, Thakali, Lopa, Sunwar und die Sherpa siedeln sich in Nepal an.
Die Hauptwanderungsphase der Tibeto-birmanen ist das 14. Jahrhundert. Aufgrund religiöser Verfolgungen durch die Muslime siedelten sich Hindus aus Rajasthan in Nepal an und verbreiteten so den Hinduismus in Nepal.
Die Einteilung der ethnischen Gruppen nach unterschiedlichen Einwanderungsperioden ist jedoch keineswegs einheitlich und kann je nach Autor hier und da variieren.


2.2 Newar und Sherpa
In Nepal unterscheidet man insgesamt über 70 verschiedene Volksgruppen oder Ethnien, die sich beispielsweise durch ihre Herkunft, ihre Sprache sowie durch ihre kulturellen oder historischen Prägungen voneinander abgrenzen.
Die Newar werden oft als die Ureinwohner Nepals bezeichnet und bilden in der Gegend um Kathmandu zwar die größte ethnische Gruppierung, ihr Gesamtanteil an der nepalesischen Bevölkerung beträgt jedoch nur etwa 5.6%. Im Gegensatz zu anderen Volksgruppen sind die Newar wohl die am wenigsten homogene Gruppierung: ihr ausgeprägtes Kastensystem geht sogar über religiöse Grenzen hinweg.
Die zweite ethnische Gruppe, die hier erwähnt werden soll, ist die der Sherpa, welche vornehmlich im Bezirk Solu-Khumbu - also in der Gegend des Mount Everest - angesiedelt ist. Ihre Kultur und ihre Religion, der Buddhismus, ist vorallem durch ihre tibetische Herkunft geprägt. Bekannt wurde die Volksgruppe durch den wohl weltbekanntesten Sherpa aller Zeiten: Tenzing Norgay der die Mount Everest Erstbesteigung 1953 begleitete. Hier ist wohl auch der Irrtum entstanden, bei "Sherpa" handele es sich im Allgemeinen um eine Bezeichnung für einen Bergführer oder Träger bei Trekkingtouren und nicht um eine Volksgruppe.


3. Gesellschaftliche Probleme in Nepal

3.1 Die Bildungssituation in Nepal
Etwa 56% aller Nepalesen sind Analphabeten. Unter den Frauen liegt die Analphabetisierungsrate sogar bei 72%. Diese Tatsache hängt wiederum eng mit der Beschäftigungssituation der nepalesischen Frauen zusammen. Die Mehrheit der nepalesischen Mädchen und Frauen hat aufgrund hoher Arbeitsbelastung, mangelnder finanzieller Mittel und schlechter Infrastruktur keinen ausreichenden Zugang zu schulischer Bildung. Die UNESCO und andere Hilfsorganisationen versuchen daher durch Bildungsprojekte und Fördermaßnahmen die Bildungssituation, insbesondere die der Frauen, zu verbessern, um die starke Differenz zwischen den Geschlechtern zu verringern.
Die Anzahl der öffentlichen Schulen in Nepal war vor 1950 stark begrenzt. Heute besteht für die Grundschule eine Schulpflicht, die aber vorallem in der ländlichen Gegend, aufgrund der hohen Arbeitsbelastung oder saisonalen Abwesenheit der Familie, oft garnicht, oder nur sehr unregelmäßig eingehalten wird. In den ärmeren Kasten kommt es häufig vor, dass ein Kind ein Schuljahr mehrere Male wiederholen muss, da es am Unterricht kaum teilgenommen hat. Zudem ist das Bildungssystem in Nepal sehr schlecht organisiert: Lehrer sind oft unzureichend kompetent und haben selten eine pädagogische Grundausbildung. Den Schulen mangelt es an Büchern, Tafeln und weiteren Materialien, die einen guten Unterricht ermöglichen könnten. In einigen Bergregionen mit schlechter Infrastruktur fehlt es sogar an Stiften und Heften. Viele Familien entscheiden sich daher gegen eine Schulausbildung und für eine weitere Arbeitskraft im Haushalt. Vorallem die Mädchen sind davon stark betroffen. Sie bleiben in der Regel häufiger als die Jungen in ihrem Alter der Schule fern: Um zu Hause zu helfen, oder um Geld zu verdienen.


3.2 Kinderarbeit in Nepal
In einem engen Zusammenhang mit der Bildungssituation steht das Problem der Kinderarbeit in Nepal. Kinder haben schon sehr früh einen Arbeitsbeitrag in Haus und Hof zu leisten, besonders hoch ist hierbei der Anteil der Mädchen, sie leisten nicht selten einen erheblichen Beitrag zur Sicherung der Grundbedürfnisse der Familie. Oft bleibt deshalb kaum Zeit für eine fundierte Schulausbildung. 26% aller Kinder in Nepal im Alter von 5-14 Jahren gehen täglich wirtschaftlichen Tätigkeiten nach, nur 4,5% werden dafür überhaupt bezahlt. Mehrere Organisationen widmen sich seit Jahren dem Thema Kinderarbeit und seinen Folgen und versuchen diese durch Bildungs- und Förderprojekte einzudämmen.


3.3 Die gesellschaftliche Stellung der Frau in Nepal
Die nepalesische Frau befindet sich gegenüber ihrem Mann in einer generell eher untergeordneten Stellung - eine Folge der Bräuche und Traditionen des Hinduismus. So wird die Frau in nahezu allen nepalesischen Gesellschaftsgruppen des Vielvölkerstaates stark benachteiligt, da der hinduistische Verhaltenskodex von immer mehr Bevölkerungsgruppen adaptiert wird. Offensichtliche Benachteiligungen stellen jedoch kein Problem, sie sind durch
den hinduistischen Staat legalisiert. Daher kommt es häufig zu Fällen von Misshandlung und Vergewaltigungen in der Ehe. Die Frau hat oft keine Chance sich mit rechtlichen Schritten gegen ihren Mann zur Wehr zu setzen. Oft wird die schlechte Behandlung einfach hingenommen.


3.4 Die Beschäftigungssituation der Frauen im ländlichen Raum
Der Bevölkerungszensus stufte im Jahre 1981 88% aller Männer als ökonomisch aktiv ein. Von den Frauen wurden nur 34% als ökonomisch aktiv angesehen. Die Beschäftigung der Frauen im ländlichen Raum spielt sich hauptsächlich im Bereich der Subsistenzproduktion ab, und besteht aus zeitraubenden, arbeitsintensiven und sich wiederholenden Tätigkeiten, wie Wasser holen, Essenszubereitung, Feuerholz sammeln, Tierpflege, Feldarbeit und Kinderbetreuung. Diese Tätigkeiten werden allgemein als nicht-produktiv eingestuft, im Gegensatz zu den entlohnten Tätigkeiten. Durch diese Definition wird der Anteil der Frauen an der Subsistenzwirtschaft völlig ignoriert und ihr Beitrag zur Befriedigung der Grundbedürfnisse schlicht und ergreifend nicht erfasst. Die wenigen Frauen, die nicht im landwirtschaftlichen Sektor tätig sind, arbeiten in Handwerksbetrieben der Textilindustrie, in Teppichknüpfereien oder in der Lebensmittelverarbeitung. Einige wenige sind sogar als Verkäuferin, im Dienstleistungsgewerbe oder im Tourismus tätig.


3.5 Hierarchische Familienstrukturen
In den hauptsächlich ländlichen Regionen Nepals Eigentümer von Land zu sein bedeutet gleichzeitig Eigentümer des wichtigsten Produktionsmittels überhaupt zu sein. Über 95% der Frauen sind in der Landwirtschaft tätig, daher stellen ihre Rechte und ihr Zugang zum Landbesitz ein wesentliches Kriterium für ihren Status und ihre Macht dar. Kontrolle und Entscheidungsgewalt über den Produktionsablauf liegen jedoch kaum bei den Frauen. Die
gesetzlichen Grundrechte der Frau sind durch die hinduistischen und patriarchischen Strukturen stark eingeschränkt. Die hinduistische Großfamilienstruktur - die meist aus drei oder mehr Generationen besteht, zusammen lebt und wirtschaftet - sieht vor, dass der Landbesitz nur an männliche Mitglieder vererbt wird, um die Kontinuität der Stammfamilie zu sichern. Frauen sind vom Erbrecht weitestgehend ausgeschlossen. Frauen leben meistens mit ihren Männern bei deren Familien. Die Schwiegertochter hat innerhalb der Großfamilie den geringsten Status. Daher versuchen viele Frauen heutzutage ihre Familie von der Großfamilie ihres Mannes zu lösen. So versuchen eingeheiratete Frauen mehr Macht und Entscheidungsfreiheit zu erlangen.
Anders sieht es hier bei buddhistischen Familien aus: Die Stellung der Frau innerhalb der Familie ist dort eine deutlich bessere. So ist beispielsweise
die Erbfolge im Buddhismus zu Gunsten der Frauen geregelt. Die Schwester unseres Bergführers Ang Kami erbte zum Beispiel den gesamten Landbesitz der Familie - so war ihr Bruder gezwungen sich beruflich anderweitig zu orientieren und spezialisierte sich auf den Bergtourismus.


Literatur (Auswahl):
BÄR, Dagmar (1992): Frauenförderungsprojekte in Nepal. IN: ROTT, Renate (1992): Entwicklungsprozesse und Geschlechterverhältnisse. Saarbrücken. Seiten 201-221.
GELLNER, David (1997): Ethnicity and nationalism in the World’s only Hindu State. IN: GELLNER David et al. (Hrsg.): Nationalism and Ethnicity in a Hindu Kingdom. The Politics of Culture in Contemporary Nepal. Amsterdam. Seiten 3-31.
HOFFMANN, Thomas (1995): Migration und Entwicklung am Beispiel des Solu-Khumbu-Distriktes, Ost-Nepal. (Freiburger Studien zur Geographischen Entwicklungsforschung Band 10). Saarbrücken.
KOOIJ, van Karel (1978): Religion in Nepal. Leiden.
SAVADA, Andrea (1991): Nepal and Bhutan. Country Studies. Washington.

UNICEF (United Nations Children's Fund) (Hrsg.) (2008):
a: Lernen für den Alltag - Mädchen in der Schule http://www.unicef.de/nepal_lernen.html (6.1.08)
b: Nepal: Kinder vor Ausbeutung schützen http://www.unicef.de/nepal_ausbeutung.html (6.1.08)