Eines der sichersten Anzeichen des globalen Klimawandels ist der weltweite Rückzug von Gebirgsgletschern. Aber nicht nur die Tatsache an sich, sondern auch die damit verbundenen Risiken, sind besorgniserregend, denn durch das Abschmelzen der Gletscher steigt das Risiko von glazial bedingten Katastrophen. Ein solches Risiko stellen die Gletschersee- Ausbrüche (Glacial Lake Outburst Floods – GLOFs) dar.

Durch das Abschmelzen der Gletscher bilden sich meist hinter Moränen oder Eisdämmen glaziale Seen. Diese sind meist instabil und können, bedingt durch steigende Temperaturen, plötzlich durchbrechen, sodass gewaltige Wassermassen talabwärts stürzen und schwerwiegende Schäden verursachen. GLOFs sind kein neues Phänomen, jedoch hat sich die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens in vielen Gebirgsregionen in den letzten Jahrzehnten durch die globale Erwärmung erhöht. Die gestiegenen Durchschnittstemperaturen gelten allerdings nicht als Auslöser eines Ausbruchs, sondern eher als Voraussetzung. Auslöser eines Ausbruchs sind meist Eis- oder Steinlawinen, die den Druck auf den Moränendamm plötzlich erhöhen und schließlich den Moränendamm brechen lassen. Aber auch das Abschmelzen von eingelagertem Eis im Moränendamm, das Auswaschen von Feinmaterial durch Quellen, die durch den Damm fließen (piping), Erdbeben oder ein plötzlicher Zufluss von Wassermassen, beispielsweise durch Starkregen oder durch das Abfließen von höher gelegenen Gletscherseen, können die natürliche Staumauer schwächen bzw. zu einem Ausbruch führen.

Nepal hat eine Vielzahl von Gletschersee- Ausbrüchen erlebt. Aufgrund ihres Zerstörungspotenzials und der schwierigen Vorhersehbarkeit werden GLOFs gefürchtet, denn diese Naturkatastrophen haben das Leben tausender Nepalesen gefordert.
Am 4. August 1985 hat besonders der Ausbruch des Dig Tsho Gletschersees nationales als auch internationales Aufsehen erregt und richtete die Aufmerksamkeit auf potenziell gefährliche Gletscherseen im Hoch- Himalaya. Grund des Ausbruchs war eine Eislawine, die in den See stürzte und eine 5 Meter hohe Flutwelle verursachte. Diese überflutete den Moränendamm. Innerhalb von ca. 5 Stunden floss der 1500m lange, 300m breite und 18m tiefe See fast vollständig aus. Talabwärts wurden Häuser, Brücken sowie landwirtschaftliche Nutzflächen völlig zerstört. Glücklicherweise kamen nur sehr wenige Menschen in den Fluten ums Leben, da zu dieser Zeit ein Sherpafest außerhalb der betroffenen Zone abgehalten wurde. Trotz alledem darf die Gefahr, die von GLOFs ausgeht, nicht unterschätzt werden. Die Anzahl der Gletscherseen hat sich durch den Anstieg der Temperaturen in den letzten Jahrzehnten um eine Vielzahl erhöht. Zudem haben die bereits vorhandenen Seen durch das Abschmelzen der Gletscher erheblich an Volumen dazu gewonnen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und das International Centre of Integrated Mountain Development (ICIMOD) haben in Nepal 3.252 Gletscher und 2.323 Gletscherseen ausgemacht, von denen ca. 20 eine potenzielle Gefahr darstellen.

Einer dieser Seen ist der Tsho Rolpa. Er ist der größte proglaziale Moränen-gestaute See Nepals, ein See der Superlative und zudem am gefährlichsten eingestuft. Der See wird durch den Tradkarding- Gletscher gespeist, der sich jährlich um über 20m zurückzieht, in einigen Jahren des vergangenen Jahrzehnts sogar mit 100m pro Jahr. Durch dieses rapide Abschmelzen ist der Tsho Rolpa auf das sechsfache seiner ursprünglichen Größe angewachsen und umfasst heute ca. 1,5km². Bei einem Ausbruch könnte eine Wassermenge von 30 Mio. m³ freigesetzt werden und 100km weit talabwärts stürzen. Eine Vielzahl von Menschen in den teilweise dicht besiedelten Tälern Nepals wäre somit betroffen.

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Zunahme des Tsho-Rolpa in den letzten Jahrzehnten. Quelle: Horstmann, B., 2004

Um das Risiko am Tsho Rolpa zu reduzieren, wurden kostspielige Anpassungsmaßnahmen am See getroffen. Dazu zählt beispielsweise ein Flut-Frühwarnsystem, das die Menschen flussabwärts bei einem Ausbruch rechtzeitig warnen soll. Zudem wurde ein offen liegender Kanal in Betrieb genommen, um den Wasserspiegel um 3m zu senken. Diese Maßnahmen führten generell dazu, die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs zu verringern, allerdings wird dadurch die Stabilität der Moränenmauer nicht verbessert. Die Gefahr bleibt weiterhin bestehen, dass das in der Moräne eingelagerte Eis weiter schmilzt und der Damm bricht. Um den Druck auf die Moräne zu mindern und einen Ausbruch höchstwahrscheinlich zu verhindern, müsste der Wasserspiegel um 17m dauerhaft gesenkt werden. All diese Maßnahmen sind allerdings auch mit erheblichen Kosten verbunden. Ein armes Land
Nepal ist dadurch auf internationale Gelder angewiesen, um dies Projekte zu finanzieren und die eigene Bevölkerung zu schützen.

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Übersichtskarte des Tsho-Rolpa-Gletschersees. Quelle: Horstmann, B., 2004

Noch heute sind deutliche Spuren des Ausbruchs von Dig Tsho 1985 erkennbar. Das Risiko eines Ausbruchs bleibt bestehen und wird sich in Zukunft noch weiter erhöhen, wird von den lokalen Gegenmaßnahmen abgesehen. Das einzige Mittel, um die Wahrscheinlichkeit eines GLOFs zu reduzieren, ist eine Reduktion der Treibhausgase, um die globale Erwärmung und somit das Abschmelzen der Gletscher zu stoppen. Dies ist nicht nur wegen der direkten Gefahr eines Ausbruchs wichtig, sondern auch um die für rund 500 Millionen Menschen wichtigen Wasserreserven zu sichern, die durch die Gletscher im Himalaya gespeist werden.


Literatur:
Horstmann, B. (2004): Gletschersee-Ausbrüche in Nepal und der Schweiz – Neue Gefahren durch den Klimawandel.
ICIMOD (2008): Glaciers and Glacial Lakes - Indicators of Global Climate Change. (http://www.icimod.org/home/uploads/publications/ath_111.pdf), 12.06.2008.
Kattelmann, R. (2003): Glacial lake outburst floods in the Nepal Himalaya: A manageable hazard? In: Natural hazards, Band 28, 145 – 154.
Bajracharya, B.; Shrestha A. B.; Rajbhandari, L. (2007): Glacial Lake Outburst Floods in the Sagarmatha Region - Hazard Assessment Using GIS and Hydrodynamic Modeling. In: Mountain Research and Development, Band 27, 336-344.